Erdwärme – die unbekannte Energie unter unseren Füßen

Ursprung und Potential

von Dr. Jörg Baumgärtner, vormals Socomine S. A., Soultz-sous-Forêts, Elsaß (1994)

 

indianerIndianer an heißen Quellen im heutigen Calistoga, Kalifornien, USA. Manche Stämme sahen heiße Quellen als neutralen Boden an, wo Kriege nicht zugelassen waren. (Geothermal Education Office)Im Gegensatz zu den bekannten „alternativen„ Energiequellen Wind und Sonneneinstrahlung spüren wir die Erdwärme nicht unmittelbar. Sie ist uns daher auch nicht so geläufig. Nur der Bergmann hat seit Jahrhunderten am eigenen Leib erfahren müssen, dass die Temperaturen im Untergrund mit zunehmender Eindringtiefe steigen und dass der Grad dieser Temperaturzunahme regional sehr unterschiedlich sein kann. Darauf, dass noch wesentlich höhere Temperaturen im tiefen Untergrund herrschen müssen, weisen die zahlreichen noch aktiven Vulkane entlang der Bruchzonen der Kontinentalplatten hin. Wer einmal z. B. in Island am Rand eines aktiven Vulkans gestanden hat und die Urgewalt der im Erdinnern schlummernden Energie beobachten konnte, der versteht die nordische Sagenwelt und die in ihr verwurzelte Ehrfurcht vor den Kräften der Erde.

 

Es stellt sich nun die Frage: Woher kommt die Wärme im Inneren der Erde? Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Im Prinzip kann man die Erdwärme als eine Form erneuerbarer Energie ansehen, die auf zwei Wärmequellen zurückzuführen ist:

 

Die Ursprungswärme stammt aus der Sicht der modernen Wissenschaft aus der Entstehungsphase der Erde vor ca. 4,5 Milliarden Jahren. Es wird angenommen, dass bei der Kontraktion von Gas, Staub, Gesteins- und Eisbrocken die enorme Gravitationsenergie beim Aufprall der Massen in Wärme umgewandelt wurde, wobei allerdings der überwiegende Teil gleich wieder in den Weltraum abgestrahlt wurde. Die Dauer dieses Entstehungsprozesses unserer Erde wird heute auf ca. 200 Millionen Jahre geschätzt. Nur ein kleiner Teil der ursprünglich vorhandenen Gravitationsenergie ist dabei in der Ur-Erde „eingefangen“ worden. Geologische Untersuchungen lassen darauf schließen, dass sich nach Bildung der Ur-Erde relativ rasch ein Gleichgewicht zwischen der Einstrahlung der Sonne und der Wärmeabstrahlung von der Erde einstellte. Versteinerte Organismen geben den Wissenschaftlern Hinweise darauf, dass sich in den letzten 600 Millionen Jahren die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche nicht mehr gravierend geändert hat. Das heißt, ein Großteil der ursprünglich eingefangenen Wärmeenergie ist nicht im Erdkörper vorhanden. Bedeutender als die Ursprungswärme ist jedoch die bei dem Zerfall natürlicher, langlebiger radioaktiver Isotope im Inneren der Erde freigesetzte Wärme. Die für diesen Prozess wichtigsten radioaktiven Isotope sind Uran238 und Uran235, Thorium232 und Kalium40. Der Anteil dieser Isotope in den Sedimentgesteinen ist sehr gering, während z. B. eine Tonne Granit rund 3,3 g Uran und 12,5 g Thorium enthält. Die damit verbundene, sehr geringe natürliche Radioaktivität ist ein Phänomen, mit dem die Menschheit seit Jahrtausenden gut lebt. Nicht nur, dass Granit in vielen Regionen gleich unter der Grasnarbe ansteht (z. B. im östlichen Bayern, im Erzgebirge), Granit war und ist auch ein beliebtes Baumaterial wegen seiner Witterungsbeständigkeit. In vielen Teilen der Erde (auch in Deutschland, z. B. in der Oberpfalz) wurden ganze Häuser aus Granit gebaut. Insgesamt geht man heute davon aus, dass im Mittel nur 30% des Wärmeflusses aus dem heißen Erdinnern zur kalten Erdoberfläche hin auf die Ursprungswärme zurückzuführen sind, während die verbleibenden 70% durch Isotopenzerfall erzeugt werden.island_geysirGeysir in Island (BESTEC)

 

Versucht man, den Wärmeinhalt der Erde abzuschätzen und fasst die Ursprungswärme und das radiogene Wärmepotential zusammen, so ergeben sich Beträge von zwölf bis 24 x 1030 Joule, je nachdem, welche Annahmen für die Temperaturen im Inneren der Erde getroffen werden. Diese Zahlen für sich sind natürlich sehr abstrakt. Eine bessere Vorstellung von der Größe des theoretischen Wärmepotentials erhält man, wenn man nur die äußere Schicht unseres Erdballes betrachtet, die Erdkruste. Hierunter verstehen die Geowissenschaftler die dünne, spröd-brüchige Haut unseres Planeten mit einer Mächtigkeit, die zwischen ca. 5 km (unter den Ozeanen) und 40 km (unter den Kontinenten) schwankt. Dünn ist diese Kruste natürlich nur im Vergleich zum Radius der Erde von ca. 6.400 km. Reduziert man die Betrachtung nur auf die Erdkruste unter den Kontinenten, so ergibt sich, dass die darin gespeicherte Wärme ca. sechs x 1026 Joule umfasst.

 

Mit dieser Energie könnten eine Million Kraftwerke mit 200 MW (elektrisch) über einen Zeitraum von 10.000 Jahren betrieben werden.

 

Nun ist die Erdkruste zwar dünn im Vergleich zum Radius des Erdkörpers, jedoch lassen sich Tiefen von mehr als etwa sieben bis acht km mit der heutigen Technologie nur unter großen Anstrengungen und mit enormem Kostenaufwand erschließen (die derzeit tiefste Bohrung der Welt steht bei zwölf km). Hinzu kommen weitere technische und geologische Schwierigkeiten, die einen großräumigen Abbau dieser Energie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht sinnvoll erscheinen lassen. Trotzdem verbleibt eine ganze Reihe von Regionen und Tiefenbereichen mit recht günstigen Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Nutzung. Um sich eine Vorstellung über den theoretischen wirtschaftlichen Wert dieser Wärmevorkommen mach zu können, hier noch ein Rechenbeispiel: Ein Kubikkilometer heißer Erdkruste könnte bei der Abkühlung um 100°C eine thermische Energie von zwei x 1017 Joule liefern.

 

Unter der Annahme hinreichend hoher Gesteinstemperaturen (> 200°C) reicht dies aus, um ein Kraftwerk mit einer Leistung von 30 MW (elektrisch) über eine Dauer von 30 Jahren betreiben zu können.

 

Der Hinweis auf die Gesteinstemperatur bei diesem Rechenbeispiel erfolgt, da die Effizienz der Umwandlung der in einem Trägermedium (z. B. Wasser) gespeicherten Wärme in elektrische Energie stark temperaturabhängig ist. Bei der Stromerzeugung geht man in der Regel davon aus, dass Mindesttemperaturen von ca. 175 bis 180°C im Trägermedium erreicht werden müssen, um einen akzeptablen Wirkungsgrad zu erzielen. In diesem Zusammenhang stellt sich dann sofort die Frage nach dem Verlauf der Temperaturzunahme in den obersten Erdschichten. In der Erdkruste variiert die Temperaturzunahme mit der Tiefe im Mittel zwischen 20 bis 40°C pro Kilometer. In Deutschland liegt dieser Wert bei ca. 30°C/km, d. h., die geforderten 175 bis 180°C würden in ca. sechs km Tiefe erreicht. Regional können jedoch erhebliche Abweichungen von diesem mittleren Temperaturverlauf auftreten. In vulkanischen Zonen werden Temperaturen bis zu 1000°C im oberflächennahen Bereich beobachtet. Mehr als 200°C in nur einem km Tiefe werden z. B. in den Geothermikfeldern Japans und Neuseelands gemessen. Bei uns im Rheingraben sind die Verhältnisse ohne vulkanische Aktivitäten nicht ganz so extrem, jedoch liegen die Temperaturen deutlich über „normal“. In 3,5 km Tiefe werden in Soultz ca. 160°C gemessen, was einer mittleren Temperaturzunahme von mehr als 45°C pro Kilometer entspricht. Die Ursache dieser Wärmeanomalie ist ein großräumiges Grundwasserzirkulationssystem, mit dem Wärme aus großen Tiefen nach oben geschleppt wird.

 

Literatur

 

Rummel, R. & Kappelmeyer, O. (1993): „Erdwärme, Energieträger der Zukunft?, Fakten, Forschung Zukunft“, Verlag C. F. Müller, Karlsruhe