Erdwärme – die unbekannte Energie unter unseren Füßen
Eine Chance für die zukünftige Energieversorgung?
von Dr. Jörg Baumgärtner, vormals Socomine, Soultz-sous-Forêts, Elsaß (1994)
In Japan und in Island, ja! Vielleicht auch noch in der Toskana oder den USA! Aber doch nicht bei uns? Vulkane oder heiße Quellen gibt es doch bei uns nicht! Heißwasser haben wir zwar auch im Untergrund, aber das wird doch schon intensiv im Bäderbetrieb genutzt. Und Heißwasser aus dem Untergrund zum Heizen, zum Einspeisen in ein Fernwärmenetz? Schön und gut, aber gibt es nicht schon genug Heißwasser als Abwasser in den konventionellen Kraftwerken? Heißwasser, das nicht genutzt wird, weil es wegen des zu installierenden und zu betreibenden Leitungsnetzes gegenüber den anderen Energieträgern zu teuer wird?
Solche Fragen und Argumente sind immer wieder zu hören, wenn man Erdwärme als mögliche alternative Energie für unsere Breiten vorschlägt. Dabei wird allerdings übersehen, dass der bei weitem größte Teil der im Untergrund enthaltenen Wärmeenergie in heißen, aber mehr oder weniger trockenen Gesteinsformationen gespeichert ist und mit den konventionellen geothermischen Produktionsverfahren nicht genutzt werden kann.
Die Idee
Wie bei der Erschließung anderer Lagerstättentypen, so hat sich auch die wirtschaftliche Ausbeutung der Erdwärme zunächst nur auf leicht erkennbare Vorkommen beschränkt, die mit einfachen Technologien genutzt werden konnten. Mit fortschreitendem Kenntnisstand über den Untergrund und verbesserten Produktionsverfahren wurden zunächst immer tiefere, heißere und damit energetisch günstigere Dampfvorkommen erschlossen. In Europa wird derzeit in Italien Erdwärme zur Stromerzeugung bereits aus Tiefen bis über 3.500 Metern gewonnen.
Die konventionelle Nutzung der Erdwärme setzt, und das ist eine gravierende Einschränkung, Wasser bzw. Dampf in ausreichender Menge im heißen Untergrund voraus. Dieses natürliche heiße Wasser dient als Trägermedium für den Transport der Wärme zur Oberfläche und zum Kraftwerk. Hohe Gesteinstemperatur und Grundwasser sind jedoch selten gemeinsam zu finden. Daher ist die Nutzung der Erdwärme bisher auf wenige Regionen beschränkt geblieben.
Die Herausforderung, das nahezu unerschöpfliche Potential an terrestrischer Wärme in den nicht oder wenig wasserführenden Gesteinen des heißen Untergrundes zu erschließen, wurde erstmals 1970 in den USA von Physikern des Atomforschungszentrums "Los Alamos Scientific Laboratories" aufgenommen. Die Wissenschaftler gingen dabei von der Vorstellung aus, dass der tiefe Untergrund aufgrund der herrschenden Druck- und Temperaturbedingungen weitgehend rissfrei sein muss. Es wurde zunächst ein Konzept zum Abbau der im wasserundurchlässigen Untergrund enthaltenen Wärme vorgeschlagen, das auf der Erzeugung eines künstlichen, sehr ausgedehnten Spaltes im Fels zwischen zwei Tiefbohrungen basiert. Der Wärmeabbau sollte dann über Wasserzirkulation durch diesen Spalt erfolgen. Hierfür wird kaltes Wasser in einer Injektionsbohrung verpresst, läuft durch den künstlich erzeugten Spalt, heizt sich dort auf und erreicht als Heißdampf über eine Produktionsbohrung wieder die Oberfläche. Dort wird in einem geschlossenen System die Wärmeenergie über einen, oder mehrere Wärmetauscher an einen Sekundärkreislauf abgegeben, der wiederum eine Turbine antreibt. Das nun abgekühlte Wasser wird wieder vollständig zurück in den Untergrund gepumpt und der Kreislauf beginnt aufs Neue. Dieses Konzept wurde allgemein unter dem englischen Namen "HOT DRY ROCK" ("Heißes Trockenes Gestein") oder der Abkürzung "HDR" bekannt. Interessant ist diese Technologie auch, weil sie umweltfreundlich ist. Es werden keine Schadstoffe (auch kein CO2) in die Atmosphäre oder den Untergrund abgegeben.
Das erste HDR-Projekt: Los-Alamos oder Fenton-HilI
1973, im Jahr der ersten Ölkrise, begannen die Arbeiten an dem ersten "HDR"-Projekt bei Fenton Hill in New Mexico, USA, am Rande eines erloschenen Vulkanes. Da dieses Projekt den Grundstein für die Entwicklung der HDR-Forschung auch in Deutschland legte, ist es wert, hier auf einige Entwicklungen ausführlicher einzugehen.
Von 1973 bis 1979 wurde in Fenton Hill zunächst das Basiskonzept, d. h. die Verbindung zweier Bohrungen über einen einzelnen Spalt erprobt. Hierfür wurden zwei Bohrungen bis in 3.000 Meter abgeteuft. Nach 2.000 Metern fast lotrechten Verlaufes biegen beide Bohrungen so ab, dass sie einen Winkel von 35° mit der Vertikalen einschließen. In 3.000 Metern Tiefe wurden Temperaturen von 195°C gemessen. Bei den anschließenden hydraulischen Experimenten zeigte sich, dass durch Verpressen von Wasser unter hohem Druck (bis 400 bar) nicht nur ein künstlicher Spalt aufgebrochen, sondern überraschenderweise auch mehrere natürliche Risse aktiviert worden waren, die man in dieser Tiefe nicht mehr erwartet hatte. Eine Zirkulation zwischen den zwei Bohrungen gelang erst, nachdem eine der Bohrungen im unteren Bereich in einem kostspieligen Verfahren (mehrfach) neu gebohrt und dabei ständig schräg abgelenkt worden war. Für die Ortung der hydraulisch aufgebrochenen Spalten wurde dabei erstmals ein passives Lauschverfahren eingesetzt, bei dem mit mehreren hochempfindlichen seismo-akustischen Aufnehmern die Bruchgeräusche im Untergrund lokalisiert werden.
In dem Spaltsystem wurden dann über die kurze Distanz von etwa 90 Metern mehrmonatige Zirkulationsexperimente durchgeführt, deren Ergebnisse zunächst die Erwartungen übertrafen:
- Die Wasserverluste waren extrem niedrig.
- Es zeigte sich, dass im Grundgebirge (d. h. im kristallinen Gestein, wie z. B. Granit oder Granodiorit wie in Fenton Hill) die erzeugten Spalten nicht mühsam und kostspielig durch Einbringen von Stützmitteln (z. B. einem grobkörnigen Sand) offen gehalten werden müssen, sondern dass diese sich bedingt durch die Rauhigkeit und Unebenheit der Oberflächen selber offen halten.
Erste Schwierigkeiten traten auf, als man daran ging, die Entfernung zwischen Einlass und Auslass auf ca. 300 Meter zu vergrößern, um größere Wärmeaustauschflächen zu erhalten. Hierbei wurden überraschend hohe Fließwiderstände beobachtet. Gleichzeitig zeigte sich, dass nur ein Teil der erzeugten Spaltflächen für den Wärmetausch genutzt wurde. Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es, ein Zirkulationssystem (2,3 Megawatt thermische Leistung) mit wiederum erstaunlich geringen Wasserverlusten zu erstellen.
Folgerichtig ging der nächste Entwicklungsschritt hin zu größerer Leistung und damit verbunden zu größeren Wärmetauscherflächen auf ein System mit mehreren parallelen Spalten. Zur Erforschung eines solchen Mehrfachspaltsystems in Los Alamos startete 1980 eine gemeinsame amerikanisch-deutsch-japanische Forschungsinitiative. Zwei neue Forschungsbohrungen erreichten 4.500 m und 327°C. Eine Temperatur, die viel zu hoch für die damals existierende Bohr- und Messtechnologie war. Nach ersten hydraulischen Experimenten, die mit erheblichen technischen Schwierigkeiten verbunden waren, wurden die Bohrungen im unteren Bereich mit Sand aufgefüllt und die Arbeiten bei niedrigeren Temperaturen (232°C) in 3.600 m Tiefe fortgesetzt. Das amerikanisch-deutsch- japanische Gemeinschaftsprojekt stand jedoch unter keinem günstigen Stern. Die Bedingungen in dem Tiefenbereich bei 3.600 m, der nicht als Zielgebiet vorgesehen war, erwiesen sich als für die geplanten Versuche nicht geeignet. Nach einem der größten jemals in den USA durchgeführten Injektionsexperimente zur Spalterzeugung kam keine hydraulische Verbindung zur Nachbarbohrung zustande.
Rückblickend muss man feststellen, dass damals die Messtechnologien und die Verfahren zur Ortung der Bruchgeräusche aus dem Untergrund noch in den Kinderschuhen steckten. Viele der Versuche wurden praktisch "blind" durchgeführt. Hinzu kam, dass die Vorstellungen über die Beschaffenheit des Untergrundes grundlegend falsch waren. Wie sich später zeigte, ist der Untergrund in Fenton Hill eben nicht rissfrei wie angenommen, sondern weist auch in mehr als 3.500 m Tiefe eine Vielzahl von unregelmäßig im Raum angeordneten natürlichen Spalten und Brüchen auf, in die das Wasser verpresst worden war. Unter diesen Voraussetzungen erwies es sich als großer Fehler, zunächst beide Bohrungen abgeteuft und erst dann die Spalten geschaffen zu haben - unter der Annahme, einzelne Spalten könnten nachträglich kontrolliert, bekannten Gesetzmäßigkeiten folgend, erzeugt werden. Die Auswertung der lokalisierten Bruchgeräusche ergab, dass ein verschachteltes System von Spalten hydraulisch aufgeweitet worden war, insgesamt ein Risssystem mit einer Ausdehnung von 800 m (Länge) x 150 m (Breite) x 800 m (Höhe), das zudem noch etwa 30° zur Vertikalen geneigt im Untergrund verläuft. In dieser Situation blieb nichts anderes übrig, als eine der Bohrungen im unteren Bereich neu zu bohren und in dieses Risssystem nachträglich hineinzulenken, eine sehr kostspielige Lösung. 1986, d. h. sechs Jahre nach dem Beginn der Bohrarbeiten, konnte so das zweite Zirkulationssystem in Los Alamos komplettiert werden. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt die Geduld der deutschen und japanischen Projektpartner erschöpft. Man hatte eigene Vorstellungen entwickelt und der Druck der Energiekrise auf die Politik hatte sich deutlich verringert. Zunächst verließ Deutschland und dann auch Japan das Projekt in Fenton Hill. Es blieb den amerikanischen Wissenschaftlern des Atomforschungszentrums Los Alamos überlassen, unter widrigen politischen Umständen und mit geringen Mitteln zu demonstrieren, dass auch dieses Zirkulationssystem günstige hydraulische und thermische Eigenschaften hat (immerhin wurden 10 MW thermisch produziert), wissenschaftliche Ergebnisse, die weltweit nur noch wenig Aufmerksamkeit fanden.
Folgeprojekte
Fenton Hill fand nach 1986 auch unter Fachwissenschaftlern nur noch wenig Aufmerksamkeit, weil nach dem Auflösen des multinationalen Großprojektes erst einmal jeder mit sich selbst beschäftigt war. So genannte "HDR"-Projekte schossen in Japan, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Schweden aus dem Boden; viele noch auf dem Einzelrisskonzept basierend. Konsequente Untersuchungen über das Fließverhalten von Wasser im zerbrochenen (oder wie die Geologen sagen "geklüfteten" Untergrund) wurden in einem Großprojekt in Cornwall, im .äußersten Südwesten Englands, durchgeführt. Hier wurden von 1980 bis zum Frühjahr 1994 mehrjährige hydraulische Zirkulationsversuche zwischen mehreren Bohrungen in 2.200 bis 2.600 m Tiefe (bei allerdings nur 90°C) vorgenommen. Diese Versuche lieferten zwei wesentliche Ergebnisse:
- Das Wasser breitet sich im zerbrochenen Untergrund nicht regellos aus. Auch in dieser Umgebung wird die Wasserausbreitung von den im Gebirge wirkenden Kräften kontrolliert, d. h. neben der Auflast von den horizontalen Druckkräften, die auch unsere Kontinente verschieben und für die Gebirgsbildung verantwortlich sind. Damit wird auch in dieser komplexen Umgebung die Richtung der Wasserausbreitung vorhersagbar.
- Das seismo-akustische Lauschverfahren und die damit verbundene Technologie zur Ortung der Bruchgeräusche bei der Spalterzeugung und der Aufweitung der Risse im Untergrund konnten wesentlich verbessert werden.
Das Projekt in Cornwall lief im Frühjahr 1994 aus, hauptsächlich, weil dieser Lokation kommerziell interessante Temperaturen (>180°C) erst in sehr großer Tiefe und damit nur mit großem Kostenaufwand zu erreichen sind. Hinzu kam, dass die Lokation sehr abgelegen ist.
Neben dem Projekt in Cornwall war in Europa noch, allerdings in wesentlich kleinerem Rahmen, das deutsche Projekt in Falkenberg in der Oberpfalz von Bedeutung. Hier wurden von 1978 bis 1986 oberflächennah (300 bis 500 m tief) Zirkulationsexperimente an einem künstlich geschaffenen Einzelspalt durchgeführt. Es gelang auf einem Areal von 100 m x 100 m insgesamt sieben Bohrungen an diesem Spalt hydraulisch anzuschließen. Auf diese Weise konnten wesentliche Erkenntnisse über die Druckverhältnisse im Spalt, Spaltöffnung sowie Strömungsverhältnisse im Spalt gewonnen werden. Informationen, die die Basis für das Verständnis über die Strömungsvorgänge in einem mehrfach zerbrochenen Untergrund bilden.
In Japan wurde bereits 1974, ein Jahr nach dem Beginn des Fenton-Hill-Projektes, ein rein nationales HDR-Forschungsprogramm gestartet. Die japanischen Projekte zeichnen sich durch ihre langfristige Auslegung aus. Von rein theoretischen Untersuchungen, über Laboruntersuchungen an kleinen Gesteinsblöcken zu Großmodellen (Untersuchungen an 10 m x 10 m x 10 m Gesteinsquadern) und schließlich zu Feldversuchen in Tiefbohrungen werden alle Entwicklungsschritte einer neuen Technologie konsequent verfolgt. Derzeit laufen aktive Feldversuche (Zirkulationsversuche) an zwei Lokationen, Hijori und Ogachi. Den günstigen geologischen Bedingungen in Japan entsprechend werden Temperaturen von mehr als 200°C bereits in 1.000 m bzw. 2.000 m Tiefe erreicht. Das Ogachi-Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass es ein reines Industrieprojekt ist, gefördert und betrieben von der Elektrizitätswirtschaft (Central Research Institute of Electric Power Industry).
Das Soultz-Konzept
Parallel zur HDR-Forschung, wurde in den 80er Jahren weltweit eine ganze Reihe von geowissenschaftlichen Tiefbohrprojekten durchgeführt. Mit zunehmendem Kenntnisstand über das Grundgebirge setzte sich dabei analog zu den Erfahrungen aus Fenton Hill oder Cornwall mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass das Grundgebirge an vielen Lokationen bis in wesentlich größere Tiefen als bisher angenommene Risse aufweist, und dass diese Risse oftmals auch wasserführend sind.
Dies bedeutet jedoch, dass ein in sich geschlossenes Zirkulationssystem mit einzelnen, künstlich erzeugten großen Spalten (ursprüngliches Fenton-Hill-Konzept) an diesen Lokationen ausgeschlossen ist.
Ein modifiziertes HDR-Konzept, bei dem sowohl die natürliche Klüftung und Durchlässigkeit des Kristallines als auch die im Kristallin zirkulierenden Wässer gezielt mitgenutzt werden sollen, wird seit 1987 in Soultz-sous-Forêts (Elsass) im Oberrheingraben, nahe der Grenze zu Deutschland, untersucht. Das Projekt wird von der Europäischen Union, Deutschland, Frankreich (zentral und Region d' Alsace), Großbritannien (1989 bis 1993) und seit neuestem auch von Italien unterstützt. Insgesamt sind derzeit mehr als zehn verschiedene europäische Forschungsinstitutionen und Firmen an dem Projekt beteiligt. Das Projektmanagement vor Ort wird von einem multinationalen Team von Wissenschaftlern und Ingenieuren wahrgenommen, das von der Europäischen Union gefördert wird und bei der französischen Firma Socomine (Group BRGM) angesiedelt ist.
Bei dem so genannten "Soultz-Konzept" geht man davon aus, dass das Grundgebirge in diesem Teil des Oberrheingrabens von einem Netz wasserführender Risse und Spalten durchzogen ist, die hydraulisch weitgehend miteinander verbunden sind. Dieses Netzwerk von Rissen wird durch Einpressen von Wasser künstlich aufgeweitet ("überdehnt") und mit mehreren Bohrungen durchörtert, von denen einige als Injektionsbohrungen und andere als Produktionsbohrungen genutzt werden. Das Wasser zirkuliert dann nicht mehr in einzelnen Spalten, sondern strömt durch ein weiträumiges Netz von aufgeweiteten Klüften und künstlich erzeugten Rissen. Die produzierten Wässer in einem solchen System sind dann ein Gemisch aus Formationswässern und reinjiziertem Wasser.
Primäres Ziel des Projektes in Soultz ist die Erzeugung von Strom. Eine zusätzliche Wärmenutzung für Heizzwecke (die sich technisch bei einer solchen Geothermieanlage anbietet) ist zunächst wegen der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei der Fernwärmeversorgung nur für günstig gelegene Einzelobjekte zu Demonstrationszwecken vorgesehen.
Meilensteine des Soultz-Projektes
1. Die Erkundung des Untergrundes
1987 schlugen deutsche und französische Wissenschaftler ein gemeinsames Erdwärme-Energieprojekt im Oberrheingraben vor. Warum? Weil in dieser Region die größte Wärmeanomalie Mitteleuropas vermutet wurde. Wärmeanomalie bedeutet hierbei, dass in dieser Region die Temperatur mit der Tiefe ungewöhnlich rasch zunimmt.
In den Jahren 1988 bis 1992 wurden dann im Wesentlichen zunächst die geothermischen, geologischen und hydraulischen Bedingungen im Rheingraben bis in 2.200 Metern Tiefe erkundet. Hierbei wurde Neuland betreten, da bisher noch niemand im Oberrheingraben so tief gebohrt hatte. Es existiert zwar eine historisch sehr interessante, bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückreichende Bohrtätigkeit auf der Suche nach Pech bzw. Erdöl in dieser Region, jedoch beschränken all diese Aktivitäten sich auf die Sedimentschichten, d. h. die oberen 600 Meter bis 1.400 Meter.
Durch Vertiefung alter, aufgegebener Erdölbohrungen wurde ein in dieser Art bisher einmaliges seismisches Beobachtungsnetz in vier Tiefbohrungen im Granit in Tiefen zwischen 1.400 bis 1.600 m installiert. Ende 1992 wurde dann eine Erkundungsbohrung bis auf 3.590 m abgeteuft. Diese Bohrung erreicht das Kristallin (Granit) bei 1.377 m. Wie erwartet, erwies sich der Granit als durchgehend stark geklüftet. Wasserführende Risse wurden bis zum Bohrlochtiefsten angetroffen. Diese natürlichen Formationswässer sind durchweg stark salzhaltig. Dies ist aber für ein HDR-Projekt nicht problematisch, da die produzierten heißen Wässer an der Oberfläche in einem geschlossenen Kreislauf gehalten werden, um dann abgekühlt wieder in der Ausgangsformation verpresst zu werden. Die Temperatur in 3.590 m in Soultz beträgt 160°C. Zum Vergleich, diese Temperatur wird an einer geothermisch "normalen" Lokation erst in über 5.300 m Tiefe erreicht. Man hat also einen Vorsprung von über 1.700 m, ein nicht zu unterschätzender Vorteil beim Bohren.
Temperaturvorhersagen für größere Tiefen sind in Soultz sehr schwierig, die Zunahme der Gesteinstemperatur mit der Tiefe, der Temperaturgradient, bleibt nicht stabil. Ist der Temperaturgradient bis in ca. 1.000 m Tiefe noch sehr hoch (105°C/km), so flacht er danach stark ab, durchschreitet ein Minimum bei ca. 2.400 m (praktisch keine Temperaturzunahme mit der Tiefe) und steigt dann bis zum Bohrlochtiefsten kontinuierlich wieder bis auf über 30°C/km an. Dieses Verhalten deutet auf ein aktives natürliches Wasserzirkulationssystem im Untergrund hin und unterstützt die These, dass die Wärmeanomalie im Rheingraben hydrothermalen Ursprungs ist, d. h. durch tiefreichende Grundwasserzirkulation verursacht wird.
Die von den Wissenschaftlern im Oberrheingraben bei Soultz in den Bohrungen gemessenen Seitendruckkräfte sind sehr niedrig, was wiederum niedrige Wasserverpressdrücke (und damit geringen Energieverbrauch bei einer Wasserzirkulation) zur Folge hat.
2. Der Wärmetauscher
Bei einem Großexperiment im Sommer 1993 wurde ein Risssystem von ca. 1.200 m (Länge) x 300 m (Breite) x 1.500 m (Höhe) hydraulisch aufgeweitet. Hierzu wurden insgesamt 45.000 m³ Wasser mit Fließraten bis 51 l/s bei Drücken von nicht mehr als 100 bar verpresst. Mehr als 16.000 Mikro-Bruchgeräusche konnten mit hochempfindlichen Aufnehmern geortet werden und erlauben eine Lokalisierung des aufgeweiteten Risssystems. Erstmals wurde bei diesem Experiment ein Rissvolumen nachweislich aktiviert, dessen Flächensumme in die Nähe der für eine industrielle Nutzung zu fordernden Größenordnung gelangt.
Die hydraulischen Eigenschaften dieses Risssystems, das später als Wärmetauscher dienen soll, wurden im Sommer 1994 eingehend untersucht. Zunächst wurde ein Produktionstest durchgeführt, bei dem 6.200 m³ Wasser (Dampf) mit Temperaturen bis 122°C artesisch gewonnen und anschließend abgekühlt in einem geschlossenen Kreislauf in einer anderen Bohrung wieder in das Grundgebirge verpresst wurden. Das produzierte Wasser wies einen überraschend hohen Anteil an Formationswässern auf (85 bis 90 Prozent), obwohl - wie zuvor erwähnt - im vorhergehenden Jahr 45.000 m³ Oberflächenwasser in den Untergrund injiziert worden waren. Die Geschwindigkeit, mit der der Austausch im Untergrund stattgefunden hat, lässt auf hohe Durchlässigkeiten und Fließgeschwindigkeiten des Wassers im Untergrund schließen. Die wichtigste Information dieses Versuches jedoch war, dass in Soultz ohne Einsatz von Förderpumpen bereits etwa 10 l/s (ca. 36 m³/h) erhitzter Formationswässer aus dem Kristallin rein artesisch gewonnen werden können. Dies ist ein signifikanter Beitrag für das angestrebte Zirkulationssystem.
Bei einem anschließenden Injektionsexperiment zeigte sich, dass das im Jahr zuvor aktivierte Risssystem dauerhaft aufgeweitet worden war. Die zur Wasserverpressung notwendigen Injektionsdrücke waren im Vergleich zum Vorjahr um mehr als die Hälfte niedriger:
- 1993: Verpressüberdruck bei 18 l/s: 95 bar
- 1994: Verpressüberdruck bei 18 l/s: ca. 34 bar
Dies bedeutet, dass der Energieaufwand zur Aufrechterhaltung eines Zirkulationssystems erheblich abgesenkt werden konnte!
Und der Beitrag zur zukünftigen Energieversorgung?
Eigentlich müsste diese Frage enden: "...bei uns in Mitteleuropa?" Denn, wie wir bereits gesehen haben, ist die Nutzung der Erdwärme insbesondere auch zur Stromerzeugung an vielen Standorten (auch in Europa) keine Utopie, sondern Stand der Technik. Auch hier in Mitteleuropa, unter nicht so günstigen Bedingungen wie z. B. in den USA oder Italien, kann die Erdwärme in Zukunft (zunächst wieder an den "günstigen" Standorten beginnend) regional einen interessanten Beitrag zur Energieversorgung leisten; davon sind die am Soultz-Projekt beteiligten Ingenieure und Wissenschaftler überzeugt! Der wesentliche Unterschied zu vielen anderen alternativen Verfahren der Stromerzeugung ist, dass nicht über Watt und Kilowatt, sondern über Megawatt gesprochen wird.
So vielversprechend die bisherigen Ergebnisse aus Soultz auch sind, auf dem Weg hin zur praktischen Anwendung dieser Technologie werden auch noch viele Hürden überwunden werden müssen.
Die Erkundung und Nutzung von Bodenschätzen bleibt immer eine nur bedingt planbare Technik, bei der man vielfach nur auf mühsam zu gewinnende Erfahrungen angewiesen ist - eine Lehre, die Bergleute und Erdölingenieure schon vor langer Zeit ziehen mussten. Fortschritte sind dabei immer mit großen Anstrengungen verbunden - Anstrengungen, wie sie am leichtesten im Rahmen eines multinationalen Projektes gemeinschaftlich von Staat, Forschung und Industrie erbracht werden können. Das Projekt in Soultz mit derzeit französischer, deutscher und italienischer Beteiligung könnte hier mit Unterstützung der Europäischen Union eine Vorreiterrolle spielen. Frühzeitig sollten jedoch auch die regionalen Energieversorger eingebunden und davon überzeugt werden, dass die Nutzung von Erdwärme auch bei uns technisch und wirtschaftlich sinnvoll und umweltfreundlich ist. Nur über eine aktive Mitarbeit der Energieversorger an einem solchen Projekt kann dieses auch auf die Besonderheiten und Anforderungen des regionalen Marktes zugeschnitten werden.
Wie soll es weitergehen in Soultz?
1994/95: Im Herbst dieses Jahres wird eine zweite Bohrung in Soultz bis auf mindestens 3.600 Meter abgeteuft. Anfang 1995 soll diese dann für einen Kommunikations- und Zirkulationsversuch an das vorhandene Risssystem angeschlossen werden. Geplant ist ein Zirkulationsexperiment über eine Distanz von ca. 400 Meter (dies wäre ein Weltrekord!) und mit einer Produktionsrate von etwa 20 l/s.
Nach 1995: Für Ende 1995 steht die Entscheidung über eine Fortsetzung der Arbeiten in Soultz im Rahmen eines wissenschaftlichen Prototypen an. Bei einem derzeit diskutierten mittleren jährlichen Investitionsvolumen von etwa 16 bis 18 Millionen DM für das gesamte Forschungsprogramm (im begrenzten Rahmen dabei eingeschlossen begleitende Grundlagenforschung und Geräteentwicklungen) errechnen sich bei vier Geldgebern (drei Nationen und die Europäische Union) jährliche Kosten von etwa 4,5 Millionen DM pro Jahr für jeden Geldgeber, einmal angenommen, alle trügen die gleiche Belastung. Als Laufzeit für ein solches Projekt werden derzeit Zeiträume zwischen fünf und acht Jahren genannt. In diesem Investitionsrahmen wird die Erstellung einer wissenschaftlichen Versuchsanlage mit einer Injektionsbohrung und zwei bis drei Produktionsbohrungen geplant. Die thermische Leistung solch einer Anlage könnte zunächst in einer Größenordnung von ca. 20 bis 30 MW liegen (theoretisch mögliche Energieabgabe ca. 2 bis 3 MW elektrisch).
Bereits an dieser Größenordnung lässt sich erkennen, dass hier keine industrielle Demonstrationsanlage geplant ist, sondern ein wissenschaftlicher Prototyp, mit dessen Hilfe erste Erfahrungen im Betrieb und über das Langzeitverhalten eines solchen Wärmetauschers gesammelt, mit dem Verfahren zur Verbesserung der hydraulischen und thermischen Leistung erprobt und Grundlagen für eine solide Kostenabschätzung für diese neue Technologie erarbeitet werden sollen.