Die Erschütterung
St. Goar - 29.07.1846
Auf der Straße verspürte man nichts. Die Marktleute am heutigen berichten aus allen Orten am Gebirge dasselbe Natur-Ereigniß. Nach Mittheilung unseres Thürmers, zeigte sich, die Umgegend von Landau allenthalben lebendig. Die Lichter erglänzten und auch im Badhause zu Gleisweiler konnte man wahrnehmen, dass auch dorten die Erdschwankungen wahrgenommen wurde. Wenn’s keine elektrische Lufterscheinung war, wie manche behaupten wollen. Dass die Fama in Ramberg und Willgartswiesen Häuser einstürzen ließ, und in Straßburg das Pulvermagazin in die Luft und dergleichen mehr, erwies sich, Gott sei Dank, als ungegründet.
Landauer Wochenblatt – No. 32 – Mittwoch den 5. August 1846
Buntes.
Noch etwas über das stattgehabte Erdbeben nach den Mainzer Unterhaltungsblättern: Es könnte vielleicht der Glaube Eingang finden, daß die jüngste Erscheinung mit den allgemeinen, bisherigen athmosphärischen Verhältnissen: drückender Hitze, Wassermangel, höhenrauchigem Horizont, mehr oder weniger Windstille u. s. w., in Verbindung stehe; hören wir deshalb was Alex. von Humboldt darüber in seinem „Kosmos“ sagt. „Das Irrthümliche eines solchen Volksglaubens – heißt es dort – der weniger in Ländern getroffen wird, welche sehr häufig von Erderschütterungen heimgesucht werden, als in denen, wo solche Erscheinungen seltener sind, wie im südlichen Europa, ist sowohl durch meine eigenen Beobachtungen widerlegt, so wie auch durch die Erfahrung aller derer, welche viele Jahre in Gegenden gelebt haben, wo, wie in Cumana, Quito, Peru und Chili, der Boden häufig und gewaltsam erbebt. Ich habe Erdstöße gefühlt bei heiterer Luft und frischem Ostwinde, wie bei Regen und Donnerwetter. – Auch Magnetnadel und Luftdruck erlitten vorher keine Veränderung.“ Die Erdstöße sind ein Zeichen der beständigen Wirkung der Erde von Innen heraus gegen die Oberfläche und hängen oft mit dem Ausbruche irgend eines feuerspeienden Berges zusammen, so fern sich für die gährenden Elemente einen Ausweg findet: geschieht dies nicht, so wird oft ein Theil der Erde gehoben, und es bilden sich neue Gebirge, die als Inseln sich über das Meer erheben u. s. w. Die herrlichsten Entdeckungen der neueren Geologie hängen mit der erlangten Erkenntnis der inneren Vorgänge unserer Erde zusammen. Diese Erderschütterungen können sich oft auf eine Entfernung von mehr als tausend Meilen von ihrem Entstehungsorte fortpflanzen. So wurde das furchtbare Erdbeben, welches am 1. Novbr. 1755 Lissabon zerstörte, in den Alpen, an den Schwedischen Küsten, auf den antillischen Inseln, in den großen Seen von Canada, wie in Thüringen und dem nördlichen Deutschland empfunden. Die Mineralquelle in Teplitz versiegte. In Cadir stieg das Meer 60 Fuß hoch. Der Erdraum, welcher gleichzeitig erbebte, übertraf viermal an Größe die Oberfläche von Europa. Die Fortschreitung der Bewegung hängt von der mechanischen Struktur der Gebirgsarten ab, sowie auch der verschiedene Grad der Erschütterung nahe gelegener Orte durch die Beschaffenheit des Bodens bedingt ist. In manchen Gegenden sind diese Erderschütterungen häufig, und wenn wir gehörig zu beobachten Gelegenheit hätten, so würden wir erfahren, dass beständig bald an diesem, bald an jenem Theile der Erde leichte Erbebungen stattfinden, welche von der fortwährenden Thätigkeit im Innern unseres Planeten zeugen. An diesen Orten verliert der Mensch die Furcht vor solchen, ihm geheimnißvoll erscheinenden Naturbegebenheiten, wie bei uns die Gewitter ihre Schrecken verloren haben. Der Peruaner kennt weder Donner noch Blitz; Gewitterwolken trüben nicht seinen Horizont. Seine Gewitter gehen im Innern der Erde vor sich. Doch das Rollen und Krachen nebst den Erderschütterungen erschrecken ihn nicht, weil er weiß, daß diese Erscheinung höchstens zweimal in einem Jahrhunderte Gefahr bringend sind. In Lima hält man, nach v. Humboldt, schwache Oscillationen des Bodens kaum mehr der Aufmerksamkeit werth, als ein Hagelwetter in der gemäßigten Zone.
Nach der Frankfurter Zeitung wurde das kürzlich stattgehabte Erdbeben an noch vielen Orten merklich verspürt, am meisten auf Thürmen und hohen Häusern, die stärksten Stöße sollen in Wiesbaden empfunden worden sein; in Mainz auf dem Thiermarkt hat der Brunnen aufgehört Wasser zu geben und man besorgt die Erschütterung habe auf die Quelle nachtheilig eingewirkt; von sonstigem Schaden und Unglück aber liest man sein Wort in allen Berichten; nur sind nach derselben Zeitung in Landau zwei Kinder aus dem Bette geworfen worden. Die armen Kleinen! – wem mögen nur dieselben angehören? Die Eltern mögen es dem Berichterstatter wohl Dank wissen, dass er sie nicht nachträglich noch in der Queich ertrinken ließ. Schade, dass drei Ereignisse bei dem Berichte aus Landau an die Frankfurter Zeitung vergessen wurden; nemlich: dass eine Latteneinfassung an einem Garten vor dem untern Thore, nach der Angabe des Eigenthümers sich über sich selbst verwundert hat, dass sie bei der schrecklichen Schwankung nicht eigestürzt ist. Ferner, dass die Spitze am Thurme zu Siebeldingen, welche seit undenklichen Zeiten krumm war, sich durch das Erdbeben in gerade Richtung gestellt hat und dass ein Landmann, der ruhig neben seiner Ehehälfte schlief, von dem Stoße erwacht, dieselbe zornig fragte, warum sie ihn stoße; verneinend, versetzte er ihr ein paar derbe Maulschellen, weil sie gelogen habe.
Anzeige-Blatt – Polizeilichen und belehrenden Inhalts – Nr. 33 – Landau, den 15. August 1846
Landau, am 12. August. Wie in anderen Orten hat sich auch hier die Nachricht verbreitet, bei dem Erdbeben am 29. v. Mts. Sei Neapel untergegangen. Leicht konnte man diesen schlechten Witz daran erkennen, dass man am 3. August hier von dem nicht unterrichtet sein konnte, was am 29. Juli in Neapel vorging.
aus dem Stadtarchiv in Landau in der Pfalz